Besuch beim BKV 2016

„Dem Sportler flicht die Nachwelt keine Kränze“ – Geschichtsinteressierte bewahren gemeinsam Erinnerung

 

Mitglieder des Vereins „Freunde historischer Faltboote e. V.“ besuchten zusammen mit weiteren Sammlern am 12. März 2016 den „Verein Bayerische Kanugeschichte“ in München, der das Archiv des Bayerischen Kanuverbandes betreut.

Wie muss man sich so ein Archiv vorstellen?

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Das Archiv des Bayerischen Kanuverbandes liegt im schmucklosen Plattenbauviertel einer Münchener Vorstadt. Zwischen Häuserfronten versteckt eine einfache Kellertreppe, eine Tür in den Untergrund, und an den Lattenverschlägen der Mieter vorbei geht es zu einer soliden Stahltür. Dahinter ein sauberer, heller Raum, hoch genug, dass man aufrecht stehen kann, und Regale, Regale, Regale… Hier stehen Buchreihen, Aktenordner und Archivkisten. An einer Wand hängen Wimpel von Kanuregatten, darunter Urkunden, teils handgemalte Unikate. In einer Glasvitrine Auszeichnungen, Pokale und Gläser, die an Feiern des Bayerischen Kanusports erinnern. Und wieder Regale voll Bücher, Zeitschriften, Dokumentenkisten…

Frau Ilse Entner herrscht über dieses Reich. Zusammen mit dem Archivar Herbert Knoll, dem langjährigen Vorsitzenden der „Bayerischen Einzelpaddler“ (was es nicht alles gibt: wahre Einzelgänger fahren nicht einfach los – sie gründen erst einen Verein!) und den anderen Mitgliedern des „Vereins Bayerische Kanugeschichte“ betreut sie das Archivgut und führt eine genaue Kartei über den Bestand. Welchen Arbeitsaufwand das bedeutet, kann nur ermessen, wer selbst einmal seinen Buchbestand kartierte.

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Ilse Entner im Gespräch mit Bernd Rabe

 

Das Archiv wurde 2005 gegründet. Auslöser war ein Jubiläum: als man für die Ausstellung „75 Jahre Bayerischer Kanu-Verband“ nach Exponaten suchte, kam nur ein erschreckend schwaches Echo. Die alten Paddler, die vor Jahren einmal eine Auszeichnung bekommen, einen Fahrtbericht gemalt hatten, waren verstorben, und mit ihnen war die Erinnerung an den Wert der Stücke und schließlich auch die Stücke selbst verschwunden. Man bedenke, dass Heinz A. Oehring noch zwanzig Jahre später den Nachlass eines Paddlers suchte, der 1968 gestorben war – es war kein Geringerer als Carl J. Luther, der Paddelautor, Skisportler und Fotograf! Dessen riesige Bildersammlung, für die Geschichte des Vorkriegssports unschätzbar und nur zu Bruchteilen veröffentlicht, ist nach „CIL’s“ Tod nie wieder aufgetaucht.

Um weiteres Vergessen zu verhindern, rief der Bayerische Kanuverband den „Verein Bayerische Kanugeschichte“ ins Leben, der seitdem das Archiv des BKV betreut. Seine Stellung ist einzigartig: kein anderer Landesverband besitzt bislang ein Archiv! Wenn sammelnde Privatpersonen nicht davon hören und zugreifen, gehen Akten und Nachlässe außerhalb Bayerns den Weg alles Irdischen. In München lagert nicht nur „Verbandsmaterial“, sondern auch Nachlässe von Paddlern wie Lorenz Riedl (1910-1948), dem mehrfachen bayerischen Landesmeister und Olympiateilnehmer 1936. Den Rang der Sammlung kann man daran ermessen, dass inzwischen der Deutsche Kanuverband dem „Verein Bayerische Kanugeschichte“ beigetreten ist (und nicht etwa umgekehrt). Die Archivare warten nicht nur auf Archivgut, sie sammeln auch selbst: von den derzeit 84 Jahrgängen der Zeitschrift „Kanu-Sport“ fehlen dem Archiv nur noch acht, und der Verein ist stolz, bis auf sechs Ausgaben sämtliche verlegten Bücher und Auflagen Rittlingers zu besitzen.

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v.l.n.r.: Ralf Petsching, Herbert Knoll und Steffen Döring

 

Es war für mich eine besondere Freude, in den Räumen des Archivs einen Überraschungsgast begrüßen zu dürfen: Sepp Schächner, den Alpenpaddler und Erstbefahrer vieler Flüsse, und, wie er sagte, „90 Jahre alt, seit 67 Jahren verheiratet und zuletzt diesen Herbst auf dem Wasser gewesen!“ Er wollte einmal Paddler aus dem „Norden“ kennenlernen, und kann lange Geschichten von Flüssen erzählen. Der „Paddlersepp“ hat aus seinem Leben ein Buch gemacht, das er mitgebracht hatte. Vielen Dank, Sepp!

Die „Freunde historischer Faltboote“ und der „Verein Bayerische Kanugeschichte“ wollen nun zusammenarbeiten. Denn während sich die einen vorrangig auf den Erhalt alter Handwerkskunst konzentrieren, sammeln die anderen ausschließlich Archivgut. Da kann der Austausch von Informationen von dem Einen zum Anderen die Arbeit Beider befruchten.

Ralf Petsching, Steffen Döring, Jürgen Oertel, Michael Ertl, Gernot Näser sowie Bernd und Camela Rabe bedanken sich bei Ilse Entner und Herbert Knoll für die herzliche Aufnahme und den hochinteressanten Nachmittag sowie den Ausklang beim Wirt. Wenn Ihr Münchener von begeisterten Sammlern ein Faltbootgerüst erklärt haben wollt – Ihr seid jederzeit herzlich willkommen!

 

Gernot Näser