Auf den Spuren des „Acrylglas-Spanters“ (2)

Auf den Spuren des „Acrylglas-Spanters“ von Rudi Pillwein:

Die Bootsbauer

 

Bild 18: Rudi Pillwein ((Mitte) und Herbert Slanar (rechts) im Slanar-Film „Wildflussvagabunden“ (1959)

 

Hedi und Rudi Pillwein

 

Wie schnell der Ruhm von Sportlern vergeht, zeigt die Geschichte des Ehepaares Pillwein. Obwohl wir verschiedene Zeitzeugen fragten, blieb lange ein Rätsel, wann die beiden geboren wurden oder starben. Rudolf Pillwein, den alle Welt nur „Rudi“ rief, wurde lt. „Kanu-Sport“ 1/1939, S. 13 f., schon zu dieser Zeit im Kanuslalom in die Leistungsklasse 1 (Senioren) eingestuft. 1949 gewann er bei der Kanuslalom-Weltmeisterschaft 1949 in Genf sowie bei der nachfolgenden Weltmeisterschaft 1951 in Steyr jeweils die Silbermedaille im Faltbooteiner, dazu in der gleichen Weltmeisterschaft 1951 im Team zusammen mit Hans Frühwirth und Othmar Eiterer die Goldmedaille. Noch heute ist sein Sieg 1955 beim US-amerikanischen Arkansas River Race bekannt. Erstmals 1949 auf dem Wildwasser-Oberlauf des Arkansas River über 91 km (!) zwischen Salida und Cañon City (Colorado) ausgetragen, war dies das erste Wildwasser-Kanurennen Amerikas überhaupt und galt anfangs als „schwerstes Kanurennen der Welt“. Als Rudi Pillwein 1955 mit seinem 5 m langen Wildwasser-Einer an den Start ging, war die Rennstrecke schon auf die „erleichterte“ Distanz von 41 km zusammengestrichen worden, um wenigstens drei Preise statt nur eines „Durchkommers“ verleihen zu können. Mit einer Zeit von 2 Stunden, 38 Minuten und 44 Sekunden gewann Rudi Pillwein nicht nur den 1. Preis, sondern stellte auch gleich eine neue Bestzeit auf!

 

Schneid und Können Rudi Pillweins müssen beachtlich gewesen sein. Beim Anschauen eines Wildwasser-Schmalfilms erinnerte sich Max Raub, von einer Befahrung der Salzachöfen auf einer Luftmatratze gehört zu haben, und fügte nach längerem Nachdenken den Namen „Pillwein“ hinzu. Meinte er das ernst? Wer es auch gewesen sein mag, Max Raub traute Pillwein dies zu. „Man glaubt nicht, was der für Wege gefunden hat. Und er fand das noch lustig!“ Über eine Befahrung der Salzachöfen durch Rudi Pillwein und seinem Vereinskameraden Hans Herbist im herbstlich-kalten Oktober 1951 berichten auch die deutschen „Kanusport-Nachrichten“ (Heft 21/1951, S. 306). Wenn man bedenkt, dass man ohne heutiges Wildwasser-Equipment, nur mit Faltboot und Badehose startete und sich Franz v. Albers unförmige „Stehaufweste“ sich erst nach 1953 langsam durchsetzte, bekommt man noch mehr Respekt vor dem Wagemut Pillweins. Und das, obwohl er sich im Gegensatz zu seiner Frau in keinem Verein schulte! Wenn „Österreichs Paddelsport“ in Heft 9-10/1955 tadelt: „Ohne ein Ausscheidungsrennen bestritten zu haben, durfte Rudolf Pillwein nach Amerika fahren. … Eine schöne sportliche Geste von Pillwein wäre es nun gewesen, wenn er sich nach seinem Sieg am Arkansas, als niemand mehr daran zweifeln konnte, dass zu Recht er ausgewählt worden war, in der Wildwasser-Staatsmeisterschaft seinen österreichischen Sportkameraden zu einem Wettkampf gestellt hätte“, dann wird das nur verständlich, wenn man annimmt, dass Pillwein abseits der Vereine paddelte.

 

Bild 19: Rudi Pillwein Rudi Pillwein während der Slalomwettkämpfe in Salida (USA) 1955 – einziges Bild mit seinem Wettkampfboot. Er selbst beschreibt es als 5 m langes Wildwasserboot (vermutlich Eigenbau, evtl. in Verbindung mit Fürst oder GESA – es blieb in den USA).

In den Herbert-Slanar-Filmen ist Rudi Pillwein am roten Tuch um den Kopf und an seinen geliebten Norwegerpullovern zu erkennen. Es ist anzunehmen, dass er auch mit der Schmalfilmkamera umgehen konnte; ein guter Fotograf war er jedenfalls, denn Max Raub sind seine Wildwasser-Diavorträge noch Jahrzehnte später im Gedächtnis.

 

Nun brachte die Faltbootwerft GESA im Jahr darauf den „Arkansas Renneiner“ auf den Markt, und die These ist verlockend: Nahm Rudi Pillwein den ersten „Arkansas Renneiner“ oder gar den „Acrylglas-Spanter“ in die USA?

 

Hier konnten die alten Mitstreiter zur Klärung beitragen. Einstimmig erklärten sie, dass Rudi Pillwein mit dem Passagierdampfer „Queen Elizabeth“ in die USA gefahren sei. Sein Kanuverband unterstützte ihn nicht: „Pillwein war eine Zeitlang arbeitslos und dann ein kleiner Vertreter, er hatte absolut kein Geld und hat die Reise hinüber selber zahlen müssen – 1955 war in Österreich tote Hose mit Geld.“ (Dr. Wolfgang Friedel) In „Österreichs Paddelsport“ 8/1955 beschreibt Rudi Pillwein seine Odyssee zum Arkansas und wie er mit jedem Cent rechnete. Da er mit dem Flugzeug zurück reiste, wird der stolze Sieger sein Boot an Ort und Stelle verkauft haben, um zusätzlich zum Preisgeld das finanzielle Polster, das ihm eine kurze USA-Rundreise und einen bequemen Heimweg ermöglichte, dicker zu machen. Somit bleibt ungeklärt, in welchem Boot Rudi Pillwein zum Siege fuhr; Filmaufnahmen zeigen wohl einen GESA-Wildwasser-Einer, nicht aber das „Arkansas“-Modell. Möglich, dass Pillwein seine Erfahrungen der Firma GESA für die Konstruktion eines neuen Renneiners mitteilte; möglich auch, dass GESA das folgende Boot allein entwickelte und nach dem Fluss benannte, der gerade in aller Munde war. Den nachweislich ersten „Arkansas Renneiner“ von GESA fuhr Fritzi Schwingl 1956 auf diesem Rennen, Rudi Pillwein wohl nicht. Auch sein legendärer „Acrylglas-Spanter“ dürfte nie auf dem Arkansas River gefahren sein. War es ein Eigenbau? Vielleicht könnte der US-Amerikaner Steve Hessl Hinweise geben. Bei ihm übernachteten einige der „Wildwasserhelden“ dieser Zeit wie Erich Seidel, Roger Paris und die Makris-Brüder, warum nicht auch Österreicher?

 

Bild 20: „Auf der Salza gibt’s doch keinen Glaser!“ Rudi Pillwein und Ria Slanar im Slanar-Film „Wildflussvagabunden“ (1959).

 

Mit Spanten aus gebogenem Acrylglas wurde bereits in den 1930er Jahren experimentiert, um Bootsgewicht zu sparen. Zwanzig Jahre später griff Pillwein die Idee wieder auf. Dabei dürfte es ihm um Gewichtsersparnis mittels Ersetzen der Holzspanten durch neuartiges Material gegangen sein; dazu kam der Sensationseffekt. In Slanars Film „Wildflussvagabunden“ wundert sich Ria Slanar beim Bootsaufbau: „die sind ja aus Glas… auf der Salza gibt’s doch keinen Glaser!“ Ob Rudi Pillwein das Boot komplett allein fertigte, wissen wir nicht. Vielleicht stand er in Kontakt mit der GESA- und der Fürst-Werft, die schon Erfahrungen mit Acrylglas-Spanten hatten; denn auch die Haut stammte nach Angaben der Wiener Altpaddler von der GESA-Werft.

 

Aus heutiger Sicht scheint es grotesk, auf welch einfache Weise Bastler ihre Werkstoffe bearbeiteten: man formte das Acrylglas über der Gasflamme des Küchenherdes! Dies ging nicht immer glücklich aus. Der Rennpaddler Hans Herbist bog in der Küche der Pillweinschen Wohnung in der Richtergasse 1a) in Wien-Neubau (VII. Bezirk) die Teile eines „Acrylglas-Spanters“ über der Gasflamme zurecht. In einem unbewachten Augenblick ging ihm – auf dem Sofa liegend – die Flamme aus, und Herbist starb an einer Gasvergiftung. Die tragische Geschichte ist durch die Mutter Helmut Hedigers überliefert, die mit Hedi Pillwein befreundet war. Der 27jährige war populär genug, um in den deutschen „Kanusport-Nachrichten“ (Heft 7/1954, S. 136) einen Nachruf zu bekommen, der seinen „eleganten und sicheren Fahrstil“ rühmt. Johann Herbist wurde am 15.3. 1954 auf dem Wiener Südwestfriedhof bestattet; seine Frau Magdalena überlebte ihn um vier Jahrzehnte. Damit lässt sich die Zeit des „Acrylglas-Spanters“ in diese Jahre legen.

 

Bild 21: Nachruf auf Hans Herbist („Kanusport-Nachrichten“ 7-1954, S. 136)

 

Dies war alles, was wir erfahren konnten. Mit dem „Acrylglas-Spanter“ fuhr Rudi Pillwein nicht den Arkansas River, das steht fest. Doch selbst ob es jemals weitere Exemplare gab, ist nicht mehr festzustellen; wahrscheinlich blieb er ein Einzelstück. Acrylglas ist leichter, aber auch spröder, viele Spanten des Bootes von Jürgen Oertel sind später hölzern repariert worden. Mit dem Aufkommen von Kunststoffkajaks in den 1960ern kam diese Entwicklung aus der Mode: man bog nicht mehr einzelne Spanten zurecht, sondern räumte die Garage aus und goss sich aus Polyesterharzen ganze Boote selbst.

 

Rudis Gattin Hedwig, von allen nur „Hedi“ genannt, war im Lebensmittelgroßhandel tätig und ihrem Mann als Sportlerin ebenbürtig: bei der Kanuslalom-WM in Genf 1949 errang sie eine Goldmedaille im Faltbooteiner und noch eine zweite im Team mit Fritzi Schwingl und Gerti Pertlwieser. Dazu holte sich das gleiche Dreierteam eine Goldmedaille bei der Kanuslalom-WM in Steyr 1951. Es war eine große Ehre, dass Hedi Pillwein im Jahr darauf zusammen mit ihrem Mann Rudi, Fritzi Schwingl und Max Raub das Ehrenzeichen des Österreichischen Paddelsport-Verbandes verliehen bekam – drei der Geehrten trainierten im gleichen Verein: „Schwarz-Weiß Westbahn“!

Bei Unilever Austria beschäftigt, stieg Rudi Pillwein mit den Jahren auf. Aus dem Firmen-VW Käfer, der im Slanar-Film „Wildflussvagabunden“ mitspielt, wurde ein Opel Rekord, aus diesem ein Ford Taunus mit einer Weltkugel auf der Motorhaube. Da war Rudi Pillwein schon in der Chefetage angelangt. „Rudi stieg bei Unilever höher und höher, und schließlich waren die Pillweins auseinander“, so die Zeitzeugen. Am Ende blieb nur Hedi im Verein. Möglicherweise spielt der Slanar-Film „Oh diese Partner“ (1959) auf diese Zeit an, und vielleicht ist dies einer der Gründe, weshalb Slanar die Paddelfilmerei überhaupt abbrach.

 

Im Verein aber hat der Name noch heute einen guten Klang. Helmut Hediger bekam als Jugendlicher von Rudi Pillwein dessen Fahrrad mit Dreigangschaltung verkauft oder vielleicht auch geschenkt – für die Nachkriegszeit ein großer Wert! Seine Mutter, so erinnert er sich, fuhr um 1955, als er noch ein Junge war, mit ihm, Rudi und Hedi drei Wochen auf Urlaub; sie schliefen alle vier in einem Zelt.

 

Wo mag der Nachlass der Pillweins geblieben sein? Nach Dr. Wolfgang Friedel blieben sie kinderlos. Hedi Pillwein erlitt 1983 mit 68 Jahren einen Gehirnschlag und ruht auf dem Wiener Südwestfriedhof; nur ihr alter Spind im Bootshaus zeugt noch von ihr. Rudi Pillwein bestellte die „Dokumentation Rennsport – 70 Jahre Österreichischer Kanuverband“ von 1993 noch, erinnert sich Max Raub. Damit verliert sich seine Spur. Auf dem Wiener Friedhof Neustift liegt ein Rudi Pillwein, geb. 17.7. 1915, verstorben 25.12. 2006, beerdigt. Ob das unser Rudi ist? Was aus seinen Booten, Bildern und Fahrtzeugnissen wurde, vermag niemand zu sagen.

 

 

Edi Hans Pawlata

 

Auch über den Erfinder der Eskimorolle erfuhren wir Manches.

 

Eduard Pawlata (Betonung auf der ersten Silbe) gehörte nicht zu „Schwarz-Weiß Westbahn“, sondern wurde 1925 Mitglied im „Wiener Paddelsportklub“ nebenan. Mit 27 Jahren, 1927, gelang ihm erstmals die Eskimorolle, also das Wiederaufrichten im durchgekenterten Boot mit Körpereinsatz und Paddelstütze, allerdings nicht im Kuchelauer Hafen, sondern auf dem Weißensee in Kärnten. Er saß dabei in seinem selbstgebauten Faltkajak „Aijuk“, das westgrönländischen Kajaks abgeschaut war. 1926 nämlich hatte Pawlata lt. Max Raub „aus dem Norden, da oben“, das erste originale Eskimoboot, mit Seehundsfell bespannt, mitgebracht und später im Clubraum vom Bootshaus des „Wiener Paddelsportklubs“ aufgehängt. Ob es dort heute noch ist? (Ein nicht näher bezeichnetes Faltbootgerüst soll auch im benachbarten Bootshaus der „Naturfreunde Wien“ hängen.)

 

Pawlata besaß in der Nobel-Einkaufsstraße Wiens, der Kärntner Straße, ein Geschäft, vielleicht eine Drogerie; lt. Max Raub handelte er mit Sonnenöl.

 

Eduard Hans Pawlata, 1966 verstorben, ruht auf dem Wiener Zentralfriedhof.

 

 

 

 

 

Herbert Slanar

 

Über das Leben des Paddelfilmers Herbert Slanar (1913-1999) findet sich vieles in den Büchern Steffen Kiesner-Barths („Eskimokajaks auf Gebirgsflüssen“ Band 1, „Lebensbild Lorenz Mayr“ und „Franz von Alber – Der Eskimo aus den Alpen“), in Lorenz Mayrs Laudatio in „Seekajak“ 43 (Mai 1994), im Nachruf auf Herbert Slanar in „Seekajak“ Nr. 72 (März 2000) sowie unter http://www.kanugeschichte.net/s.html#slanar . Daher folgen an dieser Stelle nur wenige ergänzende Details.

 

Bild 22: Herbert Slanar in seinem Eskimokajak: gleich dreht er die Rolle. (aus dem Film „Wasserteufel“)

 

Bild 23: Ria (Mitte) und Herbert Slanar (rechts), Herbert im Slanar-Eski (aus dem Slanar-Film „Bootsweihe in Langenlebarn“ 1953)

 

Die Slanars (oder vielleicht nur Herberts Frau Ria) betrieben in der Wiener Neubaugasse 17/19, einer der bekanntesten Einkaufsstraßen Wiens, in den Räumen des heutigen Reisebüros eine Hosenreinigung.

 

Herberts „Hersla“-Filme, nach ausgeklügeltem Drehbuch auf 16-mm-Material gedreht, mit den Ehepaaren Slanar und Pillwein als Darstellern, waren unter den Paddlern der 1950er und 1960er Jahre populär. Sie zeigen, dass Ria und Herbert Slanar ebenso wie die Pillweins exzellente Wildwasserpaddler waren. Mit dem Abflauen der Wildwasser-Euphorie in den 1960er Jahren kam Herbert Slanar aufs Wandern und Skifahren und drehte viele Naturfilme.

 

Bild 24: Neubaugasse 17-19: Wo Ria Slanar eine Reinigung betrieb, bucht man heute Reisen. (Foto Ralf Petsching)

 

Herbert Slanar entwickelte nicht nur zusammen mit Rudolf Fürst die eingesäumte Stehnaht (deren Fertigung Josef Gerhartl dann meisterhaft beherrschen sollte), er konstruierte auch das Wildwasserfaltboot „Möll“ (das die GESA-Werft später in ihr Programm aufnahm) und gab Kenterkurse in Wiener Badeanstalten. 1965 wurde ihm das Ehrenzeichen des Österreichischen Paddelsport-Verbandes verliehen. Ob die Freigeister überhaupt einem Kanuverein angehörten? Vielleicht genauso wenig wie Rudi Pillwein.

 

Bild 25: Slanars Kajak „Delphin“, gebaut um 1950, mit nur je einer Sente an den Seiten (der legendäre „Ein-Senten-Kajak“). (Foto Ralf Petsching)

 

1999 verstarb Herbert Slanar mit 86 Jahren. Herbert und seine 2005 85jährig verstorbene Frau Maria („Ria“) ruhen auf dem Wiener Zentralfriedhof.

 

 

 

Die Werften Fürst und GESA

 

Unser ursprüngliches Ziel, Details über die Werften von Fürst und GESA zu erfahren, erfüllte sich nur teilweise.

 

Folgt man der Datenbank von Faltboot.org, bestand die Werft von Rudolf Fürst von 1925 bis 1980. Sie saß zunächst in der Schönburgstraße 50 (Wieden, IV. Bezirk), ab 1981 „Sportartikelerzeugung RUDOLF FÜRST, Inhaber L. Prochazka in 1030 Wien, Baumgasse 52“ (Landstraße, III. Bezirk); die letzte Adresse lautete „1110 Wien, Hauffgasse 28“ (Simmering, XI. Bezirk). Rudolf Fürst, geboren 1904, verstarb 1988 und liegt auf dem Friedhof in Wien-Atzgersdorf begraben. Seine Witwe verkaufte die Firma. In einem der Prospekte bedanken sich Rudi Pillwein und der Hainburger Slalom-Meister Leo Frühwirth bei Rudolf Fürst für seine guten Tourenboote.

 

 

Bild 26 und 27: Firmenzeichen von Rudolf Fürst (Foto Ralf Petsching)

 

Die Werft GESA entstand zur Blütezeit des Faltboots in den 1950er Jahren und existierte bis 1968. Ihr Name ist eine Abkürzung aus den Familiennamen der beiden Teilhaber und ihrem Heimatland: „Gerhartl et Schmalzer, Austria“.

 

Ihr Gründer Josef Gerhartl arbeitete zunächst bei der Faltbootwerft von Fürst, machte sich dann aber mit dem Bau 4,05 m langer Wildwasserboote selbständig. Hierin erklärt sich die konstruktive Ähnlichkeit mancher GESA-Modelle mit Fürst-Booten. Doch waren GESA und Fürst einander keine Konkurrenten, weil Fürst mehr Wanderboote, GESA dagegen Wildwasserboote baute. Ende der 1950er (1958?) warb der GESA-Katalog: „Seit 1954 alle österr. Slalom- und Wildwasser-Staatsmeister in ‚GESA‘-Booten.“ Max Raub lobte noch Jahrzehnte später „die zu dieser Zeit besten Wildwasserboote“.

 

Die GESA-Werkstatt in der Mittelgasse 23 (Mariahilf, VI. Bezirk) war kleiner als die von Fürst, Max Raub schätzt sie höchstens halb so groß („niedlich sah sie aus, putzig“). GESA baute auf Bestellung und verkaufte die Einzelstücke direkt an die Kunden. Als Handwerker verfügte Gerhartl über mehrere Standardmodelle, die er individuell an die Wünsche des Kunden anpasste. So produzierte er GESA-Boote mit Presskiel, also ohne Bodenleiter, von denen noch einige Exemplare in Europa und den USA existieren sollen.

 

Das schloss die Zusammenarbeit mit Selbstbauern ein. Rudi Pillwein z. B. fertigte die Gerüste seiner Slalom-Einer selbst und ließ sich bei GESA nur die Haut schneidern, so auch die des legendären „Acrylglas-Spanters“. Der Entwurf des „Arkansas Renneiners“ stammt nach Aussage von Dr. Wolfgang Friedel von Rudi Pillwein, dürfte aber erst nach dessen Sieg beim „Arkansas River Race“ 1955 entstanden sein. GESAS Erfolgsmodell „Drau“ geht auf einen Entwurf Franz v. Albers zurück. GESA baute für ihn den „Drau“ und übernahm ihn dann ins Werftprogramm. Den „Möll“ dagegen konstruierte Herbert Slanar im Auftrag Franz v. Albers. Dieser zeichnete daraufhin Riss und Bauplan des „Möll“ und verschickte beides unter seinem Namen an Interessenten in Österreich und Deutschland, so dass der Eindruck entstand, Franz v. Alber wäre der Konstrukteur des Bootes. Dies hatte den Bruch der Freundschaft zwischen Herbert Slanar und Franz v. Alber zur Folge.

 

Nach dem Ausscheiden Schmalzers tischlerte und nähte Gerhartl seine Boote allein und fertigte auch Wildwasserpaddel, die „deutlich besser waren als heute Kober“ (Max Raub). Nur bei besonders guter Auftragslage stellte er zeitweilig Arbeiter ein.

 

 

Bild 28 und 29: Firmenzeichen der GESA-Werft Wien. (Foto Ralf Petsching)

 

Gerhartl wird als aufbrausend geschildert. Dr. Wolfgang Friedel erinnert sich an eine Anekdote, wonach er einem Kontrahenten wutentbrannt mit dem Hammer hinterherlief.

 

Auch nach dem Ende der GESA-Werft werkelte Gerhartl weiter, jetzt vorwiegend reparierend; noch 1972 schaltete er in „Österreichs Paddelsport“ Anzeigen. Dr. Wolfgang Friedel erinnert sich, ihn ca. 1976 besucht zu haben; Gerhartl baute da immer noch einzelne Falt-Eskis (Modelle „Drau“ und „Möll“) und den „Perlenfischer“, ein etwas geräumigeres Möll-Kajak mit steilerem Steven und Heck und besserem Geradeauslauf für Küstenfahrten, von dem ein Exemplar jetzt, restauriert, in der Sammlung Jürgen Oertels liegt. 1993 schloss Gerhartl, 82jährig, die Werkstatt endgültig. Dr. Friedel kaufte daraufhin von ihm „alles, was für einen Faltbootliebhaber wertvoll ist“, also den ganzen Werkstattbestand („Seekajak“ Nr. 41, S. 60).

 

Josef Gerhartl (1913-1995) ruht mit seiner Frau Theresia (1922-2014) auf dem Wiener Zentralfriedhof.

 

Gerhartls Partner Rudolf Schmalzer war nur in den Anfangsjahren von GESA mit dabei. Lt. Max Raub erkrankte er bereits in den 1950er Jahren und schied dann aus. Bis ins Alter laborierte er an seiner Gesundheit herum. Rudolf Schmalzer, 1979 mit 69 Jahren verstorben, ruht auf dem Wiener Südwestfriedhof.

 

Von beiden alten Werften ist keine Spur geblieben: wo die alten Werkstätten standen, dehnt sich heute – wie wir uns überzeugen konnten – modernes Industriegelände. 1-2 Schablonensätze zu den Bootsmodellen „Drau“ und „Möll“ gingen nach dem Ende von GESA in den Besitz von Dr. Wolfgang Friedel über, der sie der Sammlung Jürgen Oertels übereignete.

 

 

 

Ausklang

 

Wir stießen auf freundliche Menschen und offene Gesichter, auf Lebensfreude im Jetzt und Hier und auf reiche Erinnerungen. Diese zu bewahren und weiterzugeben ist ein Gebot unserer Generation, denn Spuren, die nicht bewahrt werden, verwischen.

 

Unser herzlicher Dank gilt Christa und Helmut Hediger, die uns einluden, und Max Raub, der uns an seinen Erinnerungen teilhaben ließ.

 

Bild 30: Gruppenbild bei „Schwarz-Weiß Westbahn Wien“: von links Jürgen (D), Karl-Heinz (D), Max Raub (A), Lutz (A), Christa Hediger (A), Gernot (D), Helmut Hediger (A). (Foto Ralf Petsching)

 

Und noch ein Zuckerl: Schöne Boote aus Wien

 

01 Pillwein Plexiglasspanter, Gerüst
02 Pillwein Plexiglasspanter, Hauptspant
03 Pillwein Plexiglasspanter, Spant
04 Pillwein Plexiglasspanter, Süllrandschrauben
05 Pillwein im GESA Arkansas
06 GESA Arkansas, Bug
07 GESA Arkansas, Heck
08 GESA Arkansas, Süllrand
09 GESA Drau, Gerüst
10 GESA Drau, fahrbereit
11 GESA Drau, Luke
12 GESA Möll, Gerüst
12 GESA Möll, Gerüst
14 GESA Möll, Luke
15 GESA Möll, Bug
16 GESA Möll, Heck

 

Das Team:

Reise nach Wien: Gernot, Lutz und Kalle, Jürgen Ö. und Ralf Petsching im Herbst 2018

Redaktion Text: Gernot Näser, Berlin, im Mai 2019

Bildredaktion:    Gernot, Ralf

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