Die Leo Brachert Faltboot Werft in Augsburg

 

Aus der Brachert Werbung

 

Nur wenigen Kanuten ist die Leo Brachert-Faltbootwerft heute noch ein Begriff, und nur wenig ist über den Hersteller bekannt.

Schade eigentlich, sagten sich ehemalige Freunde, langjährige Kunden und heutige Liebhaber der Boote aus Haunstetten, südlich von Augsburg.

Hier der Versuch, einige Fakten und Hintergrundinformationen über den Firmengründer und die Unternehmensgeschichte zusammenzutragen.

Start nach 1945

Während des 2.Weltkriegs arbeitet der gelernte Schlosser Leo Brachert (geb. 1895 in Göggingen) beim Flugzeugbauer Messerschmitt AG. Das Unternehmen wird nach 1945 von den Alliierten gezwungen, die Produktion umzustellen – so wie alle ehemaligen Rüstungsbetriebe in Deutschland, sofern sie nicht demontiert wurden. Anstelle von Jagdbombern mit Strahlantrieb stellt das Messerschmitt-Werk zunächst Kochtöpfe her, später dann Nähmaschinen, Fertighäuser und – wenn auch an einem anderen Standort – die legendären Kabinenroller.

 

Leo Brachert, Foto im Fischereiausweis

 

Leo Brachert ist jetzt zwar nicht mehr beim ehemaligen Flugzeugbauer angestellt, kann jedoch einen Raum im Messerschmitt-Werk anmieten. Hier beginnt er schon bald mit der Faltbootproduktion. Doch viele für den Bootsbau benötigte Materialien sind nicht so einfach zu besorgen. Beispielsweise muss er die Bootshäute zunächst aus Segeltuch herstellen. Abgedichtet werden die Hüllen durch Aufstreichen von Naturkautschuk. Allerdings verarbeitet sein ehemaliger Arbeitgeber und heutiger Vermieter Alublech für die zivile Produktion, und von diesem Material bleiben so manche Reste übrig. Die kann Brachert für seine Faltboote nur zu gut gebrauchen. Denn gezielt eingesetzt, lassen sich damit die besonders belasteten Stellen der Bootsgerüste verstärken. Wie lange das Mietverhältnis bei Fa. Messerschmitt besteht, ist heute nicht mehr zu ermitteln.

Einem Hinweis zufolge, ist Leo Brachert mit seinen Faltbootarbeiten in den frühen Nachkriegsjahren eine gewisse Zeit auch in den Räumen der benachbarten Fa. Bitz untergekommen. Das Unternehmen wird 1946 als Schreinerei gegründet und spezialisiert sich später auf den Modellbau. Auf jeden Fall wird viel mit Holz, Leim, Lack und Stoffen gearbeitet – Materialien, mit denen sich Leo Brachert bestens auskennt. Zuvor arbeitete der Inhaber Josef Bitz bei den Bayerischen Flugzeugwerken, später -wie Brachert- bei Messerschmitt und war während des Kriegs Kontrollleiter für die Fertigung der riesigen Lastensegler Me 321 und Me 323.

 

Aus einem späteren Brachert Prospekt

 

Bei den ersten Brachert-Faltbooten nach dem 2.Weltkrieg handelt es sich um ca. 380 cm lange Kurz-Einer. Die Gerüstlänge ist möglicherweise so kurz, weil einfach kein größerer Werkraum zur Verfügung steht, um die Boote komplett aufzubauen. Manfred Blauhorn, einer seiner späteren Weggefährten: „Bereits damals führte er die Technik der formverleimten Spanten aus Esche ein. Sie gaben den Faltbooten auch ohne Bespannung eine sehr hohe Festigkeit. So konnten selbst beladene Boote an den Steven hochgehoben werden, ohne dass sie durchhingen.“

 

Spätestens nach der Währungsreform im Juni 1948 kommt in Haunstetten – bedingt durch eine bescheidene, meist regionale Nachfrage – etwas Schwung in die Faltbootproduktion. Brachert bietet aber nicht nur komplette Boote an, sondern auch die Neuanfertigung von Bootshäuten für alle Fabrikate sowie Reparaturarbeiten an Gerüsten. Vermutlich Anfang der 1950er Jahre bezieht Leo Brachert auf einem großen Grundstück in der Karl-May-Straße (später wird das Areal in Inninger-Straße umbenannt und dicht bebaut) eine eigene Werkstatt, die aus drei Räumen besteht. Das einfache, ebenerdige Gebäude ist langgestreckt, verfügt lediglich über eine Holzofenheizung und nur einfach verglaste Fenster. Im Satteldach lagern die gesägten, zuvor selbst ausgesuchten Eschenhölzer. Die Bretter haben bereits fünf bis sechs Jahre geschützt im Freien trocknen können.

Brachert entwickelt, baut und optimiert – der Beruf wird zur Passion

Leo Brachert verkauft seine Boote jedoch nicht, um möglichst viel und gut zu verdienen. Für ihn ist das Herstellen von Faltbooten eher ein Hobby, mit dem er in der kalten Jahreszeit zusätzlich noch seinen Lebensunterhalt verdient. Die Aufträge werden bis in den Herbst eines jeden Jahres gesammelt und dann abgearbeitet, Zettel mit den Details der Bestellungen hängen an der Wand. Ab dem Frühjahr nutzt „Otac“, [gesprochen: „Otaz“], so der Spitzname von Leo Brachert, die warme Jahreszeit für zahlreiche mehrwöchige Faltboottouren – meist gemeinsam mit Freunden und  seinem ältesten Sohn. Die kroatische Herkunft des Spitznamens (deutsch: „Vater“) verrät schon viel über das bevorzugte Reiseziel.

Seine Frau arbeitet als Hebamme. Das Ehepaar Brachert zieht zwei Jungen groß: Leonhardt, genannt „Lolo“ (1928-1993) und Max, Rufname „Maxi“  (1935-2016). Interesse am Faltbootfahren haben beide, aber Lolo arbeitet bei Brachert sen. auch in der Werkstatt mit und begleitet den Vater oft auf längeren Fahrten.

 

Spannende Touren

Die Fahrten mit Boot und Zelt führen weit über die bayerischen Gewässer hinaus. Im früheren Jugoslawien sind es die Schluchten Montenegros mit den Flüssen Vrbas, Drina, Lim und Tara, die sie faszinieren. Aber auch die Inselwelt der Kornaten hat es ihnen angetan. In Frankreich befahren sie u.a. Ain, Ardèche, Tarn und Chassezac, in der Schweiz sieht man sie auf dem Vorder- und Hinterrhein sowie auf dem Bodensee bis zum Rheinfall von Schaffhausen. Außerdem stehen Ammer, Amper, Inn, Loisach, Tiroler Lech, Ziller und lange Abschnitte der Donau auf dem Fahrtenplan. Auf dem offenen Meer und in der Regel auch auf den Flüssen fahren sie mit Steueranlage. Ausnahme sind stark verblockte Passagen: Hier heißt es anlanden, Steuer demontieren und per Seilfähre schräg gegen die Strömung – kontrolliert und umsichtig- flussabwärts treiben.

Ein paar Eindrücke von diesen Reisen finden sich im Folgenden und unter Brachert und Blauhorn, Kornaten 1973  sowie unter  Brachert und Blauhorn, Montenegro 1969   

Zum Abendessen gibt’s oft frischen Fisch, den der Otac von Hand selbst fängt. Denn der weiß wie kaum ein anderer, wo in den ufernahen Gewässern Bachsaibling, Forelle und Äsche stehen.

Zum Übernachten bevorzugen die Bracherts ihr Tipi-Zelt. Begründung: Gegenüber den Steilwandzelten bieten die spitz zulaufenden Rundzelte den Insassen bei Steinschlag besseren Schutz. Vorausgegangen sind wohl schmerzhafte Erfahrungen bei Übernachtungen in den Balkanschluchten.

Ein Abenteuer bleibt ihnen allerdings verwehrt: Die Befahrung des Drin im Nordosten Albaniens. Das Balkanland hat bereits in den 1950er und 60er Jahren das Image eines „Nordkorea am Mittelmeer“ und ist zu dieser Zeit Synonym für rigide Selbstisolation und Steinzeit-Stalinismus.

Manfred Blauhorn: „Da auf normalem Weg keine Einreiseerlaubnis zu erhalten war, hat unser Freund Mattheus ein offizielles Schreiben an Enver Hodscha gerichtet, den Ersten Sekretär des Zentralkomites der Partei der Arbeit Albaniens.

Darin hat er die Bitte um Einreiseerlaubnis ergänzt mit dem Angebot, dass wir auch einen albanischen Begleiter als Aufpasser akzeptieren, dem wir selbstverständlich ein eigenes Boot und Zelt zur Verfügung stellen würden. Auch für dessen Proviant wären wir aufgekommen.

Leider kam nie eine Antwort…!“

 

 

 

Gemütlicher Treff für lange Abende

In der tourenfreien Zeit wird eine Art Laube auf dem Brachert-Grundstück zum Kristallisationspunkt für Faltbootfreunde und einige Nachbarn. Bei der Laube handelt es sich um einen rechteckigen Bau aus Holz, Stein und rundum laufender Sitzbank, auf der -wettergeschützt- bis zu 15 Personen Platz finden. In der Mitte der Laube brennt bei den zahlreichen Zusammenkünften das offene Lagerfeuer – der Rauch kann durch eine Öffnung im Dach abziehen. Hier werden neue Fahrtenpläne geschmiedet, Freunde begrüßt, alten Geschichten gelauscht, Lieder gesungen und über Faltboote gefachsimpelt. Viele der Anwesenden sind von der inneren Einstellung, den ernsthaften Gedanken und der gradlinigen Lebensweise Leo Bracherts beeindruckt – er gilt in der Runde bald als Philosoph. Später, in den 1980er Jahren,  wird in weiten Teilen der Bevölkerung die Rückbesinnung auf Natur und Umweltschutz verstärkt einsetzen, – Leo Brachert hat diese Haltung bereits Jahrzehnte zuvor gefordert und praktiziert.

 

Mit dabei ist auch Karl Schreck und sein Mädel (heute seine Ehefrau), und das hat eine Vorgeschichte. Etwa 1965 kommt es auf dem Staffelsee zum ersten Kontakt zwischen Leo Brachert und den beiden. Das Paar ist mit einem Klepper Aerius unterwegs – Leo Brachert und Sohn Lolo schippern in einer selbst gebauten Segeljolle über den See. Wenig später sehen Karl Schreck und seine Freundin zum ersten Mal einen der schlanken Brachert Sport- und Wander-Einer, für den sich besonders die junge Dame sofort begeistert. Ihr Freund Karl arbeitet nur wenige Hundert Meter von der Brachert-Werft entfernt. Nach Feierabend fährt der junge Schreck in der Inninger Straße vorbei. Unter der Decke hängt ein fast neuwertiger Wander-Einer mit rotem Oberdeck, den er für kleines Geld gleich mitnimmt. Der Vorbesitzer hatte mit dem Boot wohl eine Havarie, so dass  Meister Brachert das Unterschiff reparierte, indem er im Heckbereich auf etwa 1,5 m Länge neues Hautmaterial ansetzte und quer zur Fahrtrichtung mit dem vorderen Teil vernähte. Sicher keine elegante, jedoch Material sparende Lösung. Karl Schreck bestellt am selben Nachmittag noch ein zweites Boot. Später kommt ein Brachert-Wildwasser-Einer sowie ein Dreier-Kanadier hinzu, der jedoch bald wieder gegen einen Wander-Zweier in Zahlung gegeben wird.

Schrecks Brachert Canadier

Brachert Canadier an der Donau

Familie Schreck mit den Einzelpaddlern unterwegs

Schau an, was der Brachert Einer kann…

Typenvielfalt und Zubehör

Für Werbung hat Leo Brachert vermutlich nur ein kleines Budget zur Verfügung. Dennoch lassen sich zwischen 1950 und 1967 fast in jedem Jahr jeweils eine kleine Textanzeige in der Vereinszeitschrift „Kanu Sport“ nachweisen – Messebeteiligungen sind nicht bekannt.

Dem Autor liegen Kopien von zwei schlichten, undatierten Prospekten vor. In ihnen stellt die Brachert-Werft  zwei ihrer Boote vor, die beide einen Mittelkiel aufweisen. Nämlich den „Sport- und Wander-Einsitzer“ mit den Maßen 445 x 65 cm sowie den „Sport- und Wander-Zweisitzer“ (520 x 80 cm). Zumindest die Größenangaben des Einer decken sich nicht mit den Abmessungen der in der heutigen Faltboot-Szene noch existierenden Brachert Sport- und Wander-Einer: Diese verfügen über eine Länge von 420 bis 430 cm und eine Breite 63 bis 66 cm Breite. Nicht aufgeführt in diesen Unterlagen ist übrigens der ebenfalls auf Kiel gebaute Wildwasser-Einer mit stärkerem Kielsprung, breiterer Bodenleiter, ebenfalls großer Luke und Beckenstützen, jedoch ohne Steuerbeschlag. Äußerlich ist er dem Sport- und Wander-Einer sehr ähnlich. Die bekannten Brachert-Wildwasserboote messen 420 cm x 65 cm.

Neben dem üblichen Zubehör wie Wander- und Wildwasser-Spritzdecke (auch für den Zweier), Stabtasche und Bootsrucksack, Paddel und Besegelung (nur für den Zweier) sollte noch der Brachert-Bootswagen erwähnt werden. Dabei handelt es sich um eine sehr robuste, selbstentwickelte Konstruktion aus Holz, Alu-Beschlägen und kräftigen Federn, die sich kompakt zusammenlegen lässt. Die kugelgelagerten Laufräder bezieht Brachert offenbar vom gleichen Hersteller, der auch die Pionier-Faltbootwerft beliefert.

Brachert Bootswagen aufgebaut

Brachert Bootswagen zusammengelegt

 

Die optional erhältlichen Beckenstützen werden oben am Süllrand eingehängt und sind durch Schnüre mit dem Sitz verbunden.

Brachert Sitz mit Beckenstützen

 

Die Steuerpedalerie ist genial einfach, dennoch stabil und schnell zu montieren.

Brachert Pedalerie für die Steuerung

Die Pedale werden durch rote Gummibänder in Position gehalten

Von einer Serienproduktion der Brachert-Faltboote kann man eigentlich nicht sprechen. Dafür ist Otac zu sehr an deren ständigen Optimierung interessiert: Die Wendigkeit zu verbessern und mit besten Laufeigenschaften zu vereinen – diese Herausforderung nimmt er gern an. Manfred Blauhorn: „Es konnte durchaus vorkommen, dass innerhalb eines Jahres drei unterschiedliche Modelle von Wildwasserbooten gebaut wurden!“ Ähnlich erinnert sich Karl Schreck: „Er hat das gebaut, was sich die Leute gewünscht haben. War die Konstruktion gelungen, wurden noch ein paar mehr Exemplare hergestellt!“ Die meisten Boote gehen an Kunden in Süddeutschland, aber auch im Großraum von Hamburg und Köln gibt es eingeschworene Brachert-Freunde. Der Export spielt kaum eine Rolle, von wenigen Ausnahmen nach Frankreich und Großbritannien abgesehen.

Die Brachert-Werft stellt über einen Zeitraum von ca. 20 Jahren eine beachtliche Vielfalt an Faltbootmodellen her. Zu nennen sind Kurz-Einer, sportliche Wander-Einer und Wander-Zweier, Wildwasser-Einer, Eskis und Kurz-Eskis, Faltkanadier für ein, zwei und drei Personen sowie Faltsegeljollen. Nach Angaben von Max Brachert baute sein Vater auch starre Segeljollen und versuchte sich an einem Katamaran.

Auf jeden Fall zählt die Brachert-Werft zu den wenigen Herstellern, die deutlich mehr Faltboot-Einer gebaut hat als Zweisitzer. Beträgt das Verhältnis von Einer zu Zweier nach 1945 bei Firmen wie Pionier und Marquardt ca. 50:50 und bei Klepper und Hammer eher 10:90, so wird bei Brachert die Relation mit etwa 90:10 völlig auf den Kopf gestellt.

Feine Unterschiede

Bei den Brachert Sport- und Wandereiner lassen sich drei Produktionsphasen beobachten, in denen konstruktiv einige Änderungen eingeflossen sind. Grund waren sowohl praktische Verbesserungen als auch fertigungstechnische – sprich Kosten reduzierende – Überlegungen. In welchem Jahr die eine Phase begann und wann sie durch neue Konstruktionen abgelöst wurde, lässt sich heute nicht mehr mit Sicherheit sagen:

Phase 1.  Bei den frühen Booten sind sämtliche Spanten formverleimt. Zur Aufnahme der Steuerung ist ein 54 x 17 x 8 mm großer Alu-Block mit dem Achtersteven verschraubt. Der Sitz wird zwischen  den Aussparungen der Bodenleiter gehalten.

Phase 2.  Bei den später hergestellten Booten sind die beiden kleinsten Spanten in Bug und Heck nicht mehr formverleimt, sondern bestehen aus schmalen Brettchen, wie sie die meisten anderen Hersteller auch verwenden. Der Alu-Steuerblock wird ersetzt durch ein Röhrchen, das dem Steuerstift als Führung dient. Verschraubt ist der Steuerbeschlag sowohl oben auf dem Heck als auch am senkrechten Teil des Stevens. Der Sitz wird mit einer flachen Holzscheibe in der Bohrung eines Bodenleiterbrettchens fixiert und zusätzlich durch einen schwenkbaren Bügel an der Bodenleiter gehalten.

Phase 3. Bei der letzten Ausführung der Brachert-Einer werden ebenfalls die preiswerter zu fertigenden kleinen Spanten eingesetzt (s. Phase 2). Für die Aufnahme der Steuerung hat Brachert einen kräftig dimensionierten Alu-Beschlag entwickelt, der ähnlich einem um 90° Grad gedrehtem „U“ auf den senkrechten Teil des Hecks geschraubt ist. Die Sitzarretierung erfolgt wie zuvor (s. Phase 2).

Auch bei den Rückenlehnen gab es verschiedene Ausführungen. Zum einen die traditionelle Lehne mit zwei „H“-förmig angeordneten Brettchen. Dann eine Lehnenvariante bestehend aus einem einteiligen Brettchen, dessen Umrisse einer liegenden „8“  nachempfunden sind. Darüber hinaus sind auch einteilige, rechteckig gesägte Rückenlehnen bekannt (die Ecken sind natürlich gerundet – so viel Aufwand musste sein!). Ob die unterschiedlichen Ausführungen bestimmten Produktionsphasen zugeordnet werden können, oder ob der Kunde unter mehreren Versionen aussuchen konnte, lässt sich heute nicht mehr mit Sicherheit klären.

Bei dieser Lehnenform handelt es sich vermutlich um einen Eigenbau, passend zum aufblasbaren Klepper Rückenlehnen-Kissen.

Für so manchen Brachert-Kunden werden die im Verhältnis zu anderen Herstellern niedrigen Anschaffungskosten den Ausschlag gegeben haben. Hier ein Überblick über die Listenpreise vergleichbarer Ein- und Zweisitzer von 1958 (in DM):

 

Brachert
Sport- u. Wandereiner 
Pionier
450 S
Klepper
T6
Faltboot 335,– 498,– 482,–
Wanderspritzdecke 25,– 36,– 35,50
Rucksack 17,– 18,– 55,60
(inkl.)
Stabtasche 17,– 25,–
Steuer (komplett) 17,– 40,– 31,–
Paddel (1 Paar) 18,– 19,50 19,50
Gesamtpreis 429,– 636,50 623,60

Ähnlich sind 1958 die Relationen bei den populären Zweisitzern:

Brachert
Sport- u. Wanderzweier
Pionier
520 Z
Klepper
T8
Faltboot 395,– 515,– 537,–
Wanderspritzdecke 36,– 55,– 56,–
Rucksack 18,– 16,– 58,60
(inkl.)
Stabtasche 18,– 22,–
Steuer (komplett) 17,– 40,– 31,–
Paddel (1 Paar) 36,– 39,– 39,–
Gesamtpreis 520,– 687,– 721,60

Sorgfältig gearbeitet und keine Massenware

Was die Produktionszahlen betrifft, so liegen nur aus dem Jahr 1953 halbwegs brauchbare Angaben vor: Umgerechnet auf die eingekaufte Menge an Faltboothaut werden in diesem Jahr ca. 25 Boote bezogen und verkauft. Das deckt sich mit Beobachtungen von Zeitzeugen, die von einer Jahresproduktion von 15 bis 25 Faltbooten ausgehen. Die Stückzahl der einzelnen Bootstypen ist entsprechend gering, einige Konstruktionen werden wohl kaum über das Prototypen-Stadium hinausgekommen sein. Geht man von den oben erwähnten Zahlen aus, mögen insgesamt zwischen 300 und 500 Faltboote die Brachert-Werft verlassen haben. Schön, dass doch so manche überlebt haben!

Aber nicht nur beim Entwickeln von Spantenrissen und Anfertigen von Konstruktionszeichnungen kennt sich Leo Brachert bestens aus. Auch was das Handwerkliche betrifft, macht dem Otac kaum einer etwas vor: Das Nähen der Bootshüllen, das Formverleimen der Spanten, die Tischlerarbeiten an den Gerüstteilen, das Anfertigen der verschiedenen Beschläge aus Alu-Blech, der bewusste Einsatz von Kupfer- und Alu-Nieten an unterschiedlich belasteten Stellen – Brachert vereint gleich mehrere Berufe in einer Person.

Das Oberdeck der Boote kann wahlweise mit blauem oder rotem Baumwollstoff bestellt werden. Das Beziehen der Gerüste ist in den Anfangsjahren ausschließlich Sache von Brachert sen. Als Unterschiffmaterial verwendet die Werft (wie andere Hersteller auch) gummierte Silberhaut, die heute nach über 50, 60 Jahren hart, brüchig und klebrig geworden ist. Aber der Otac steht offensichtlich auch den damals neuen Materialien offen gegenüber. So ist zumindest die Existenz eines Brachert Wander-Zweiers mit Hypalonhaut verbrieft.

Ein zweites Standbein

Neben den Faltbooten entwickeln und bauen die Bracherts auch Sportbögen, Pfeile und Köcher. Bei dieser Sportart werden nicht nur hohe Ansprüche an das Können des Schützen gestellt, sondern auch an das Material der Bögen. So müssen Pfeil und Bogen exakt aufeinander abgestimmt sein. Ähnlich den Spanten im Bootsbau werden auch bei der Bogenherstellung mehrere schmale Holzleisten in Formen gehalten, gebogen und verleimt. Allerdings verwenden die Bracherts dafür andere Holzarten als beim Faltbootbau. So kommen neben Esche u.a. auch Ahorn, Eibe, Haselnuss, Lärche und Ulme in Frage. Pfeile und  Köcher runden das Angebot für die Sportschützen ab. Nach Auskunft von Karl Schreck, einem der jungen Freunde des Otac, hat sich vor allem Lolo auf die Bogenfertigung konzentriert. Der Vertrieb erfolgt – im Gegensatz zu den Faltbooten – auch über den Handel, selbst Amerikaner zählen zur Kundschaft.

Als 14-jähriger Schüler, der an zwei oder drei Nachmittagen pro Woche bei der Brachert-Werft sein Taschengeld aufbessert, ist Wolfgang Ettenhofer Anfang der 1960er Jahre mittendrin in der Faltboot- und Bogenfertigung. Nach über 50 Jahren erinnert er sich noch gut: „ Meine Hauptaufgabe bestand darin, Pfeile für die Bogenschützen herzustellen. Dazu zählte das Lackieren der Schäfte, das Bestücken der Pfeilenden mit Federn sowie das Anbringen von Metallspitzen am anderen Ende. Bezahlt hat Brachert nach abgelieferter Stückzahl. Es waren eigentlich nur Pfennigbeträge, aber an so einem Nachmittag wurden leicht über 100 Pfeile produziert, und da kam dann doch einiges zusammen. Aber auch zum Entgraten der Alu-Beschläge für die Faltbootgerüste hat mich der Senior eingesetzt. Und dabei habe ich gelernt, wie man mit der Feile richtig umgeht!“ Nach seinen Beobachtungen jobbte mit ihm zeitweise noch ein weiterer Schüler. Darüber hinaus hätten noch zwei etwa 30-jährige Männer mitgearbeitet. Beim Schneidern der Oberdecks, der Spritzdecken und Schürzen hätte eine Näherin  gelegentlich mitgeholfen.

Reparaturen noch 22 Jahre nach Produktionsende

Spätestens Mitte der 1960er Jahre bricht in Westdeutschland die Nachfragen nach Faltbooten drastisch ein, viele Hersteller reduzieren ihr Verkaufsprogramm oder geben auf. Interessant daher die Frage: Bis wann wurden Brachert-Faltboote eigentlich gebaut? Bekannt ist, dass sich Leo Brachert 1967 aus gesundheitlichen Gründen aus dem Betrieb zurückzieht und damit die Produktion von kompletten Booten einstellt. Er stirbt 1974. Sein ältester Sohn Leonhardt führt jedoch weiterhin Reparaturen durch. Am 2.9.1975 meldet er die Firma auf seinen Namen um.

Und bis wann existierte eigentlich die Brachert-Faltbootwerft? Dass darauf die Antwort noch aussteht, zeigt die folgende Randnotiz: Im Sommer 1966 interessiert sich ein junges Ehepaar aus dem Raum Villingen-Schwenningen für die schnittigen Brachert-Wandereiner. Das erste Boot kaufen sie im Juni 1966, das zweite (baugleiche) einen Monat später. Das Paddler-Ehepaar unternimmt zahlreiche Touren auf Bodensee, Donau und anderen Gewässern, bei denen es wohl auch öfter zu „Grundberührung“ kommt. Am 21. Juli 1989 (so das Rechnungsdatum) bestellen sie eine neue Wildwasserspritzdecke lassen eines ihrer Boote bei der Werft in Haunstetten mit neuem Kielstreifen beziehen, den Lolo Brachert persönlich aufklebt. Im Herbst 1989 habe die Brachert-Werft – so die Auskunft des Ehepaars- dann keine weiteren Reparaturen mehr angenommen.

Seit 1973 arbeitet Manfred Blauhorn im Umweltamt der Stadt Augsburg, der ehemalige Vorort Haunstetten ist längst in die Großstadt eingemeindet. Zu Blauhorns Aufgaben gehört u.a., bei Betriebsschließungen zu prüfen, ob Altlasten -z.B. Bodenverunreinigungen- hinterlassen werden. Vermutlich im Herbst 1993 bekommt er die Akte „Inninger Straße“ auf den Tisch. Verwundert stellt er fest, dass es sich bei der angegebenen Adresse um den Standort der Brachert-Werft handeln muss. Als er hinfährt, sieht er das Gebäude kurz vor dem Abriss, Tür und Fenster stehen offen, ein Großteil der Einrichtung und Werkzeuge fehlt. Was er noch retten kann, ist das Firmenschild der Brachert-Werft. Das übergibt er, zusammen mit einem Brachert Zweier-Kanadier, den er Jahre zuvor vom Otac erworben hat, dem 2003 eröffneten Kanumuseum Augsburg am Eiskanal. Gegenüber Walter Schestak äußert sich Jahre später auch Max Brachert entsetzt darüber, dass er wenige Wochen nach dem Tod seines älteren Bruders die alten Werkstatträume völlig verwüstet vorgefunden habe, die Werkzeuge seien gestohlen und sämtliche schriftlichen Unterlagen geplündert worden. Er wisse auch, wer es gewesen sei…

 

Brachert-Boote bereits in den 1920er Jahren?

Nachgewiesen ist, dass Leo Brachert ab 1926 in Haunstetten wohnte. In den überlieferten Gewerbelisten für Haunstetten ist sein Name jedoch nicht verzeichnet. In einer kurzen Chronik hat Manfred Blauhorn im Juni 2002 die Aussage von Max, dem jüngeren Sohn von Leo Brachert, festgehalten, dass sein Vater und ein gewisser Herr König in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen bereits erste Faltboote gebaut haben. Demnach sei sein Vater für die technische Entwicklung und König für den kaufmännischen Bereich zuständig gewesen. Mit den Booten aus der Brachert-/König-Produktion hätten die Augsburger Kanuten Beck und Besel sowohl den Weißen Nil wie auch den Blauen Nil vom Sudan bis zur Mündung ins Mittelmeer bereist. Irgendwann seien Brachert und König dann getrennte Wege gegangen – Gründe unbekannt. Weitere Informationen, die Hinweise auf die Brachert-Werft in der Zwischenkriegszeit geben würden, liegen bis jetzt nicht vor.

Der oben stehende Beitrag stützt sich auf die persönlichen und zum Teil Jahrzehnte zurückliegenden Erinnerungen, Fotos und Unterlagen von Freunden und Angehörigen Leo Bracherts. Insbesondere bedankt sich der Autor bei Elisabeth Brachert, Manfred Blauhorn, Wolfgang Ettenhofer, Markus Heise, Dr. Rainer Mast, Ralf Pertsching von PATCOOL, Walter Schestak, Karl Schreck, Bruno Sproll, Familie Ziegler, den „Wärtern“ des Kanumuseums Augsburg Walter Liegel und Gerd Walter für ihre Unterstützung bei der Recherche.

Jürgen Kronenberg, Michael Ertl