Auf den Spuren des „Acrylglas-Spanters“(1)

Auf den Spuren des „Acrylglas-Spanters“ von Rudi Pillwein:

Die Sportler

 

Es begann alles ganz harmlos mit einem Faltboot-Einer der Wiener Firma Fürst, den Jürgen Oertel auftrieb und der merkwürdige Spanten hatte: sie waren aus Acrylglas gefertigt. Von keiner Werft aus dieser Zeit sind Acrylglas-Spanten bekannt!

 

Bilder 1 und 2: Der Plexiglas-Spanter und seine Sitzluke. (Foto Ralf Petsching)

Die Spur führte zu dem Wiener Paddler Rudi Pillwein, dem Slalom-Meister, Sieger 1955 im „schwersten Kanurennen der Welt“, dem Arkansas River Race (USA), der auch Faltboote baute… Pillwein? Paddelte der nicht in den Filmen Herbert Slanars?

Natürlich! In dem Slanar-Film „Wildflussvagabunden“ wird der „Acrylglas-Spanter“ sogar gefahren!

Rudis Frau Hedi war Mitglied im Kanuverein „Schwarz-Weiß Westbahn“, im Norden Wiens am Kuchelauer Hafen gelegen. Und da das Ehepaar Pillwein mit dem Ehepaar Slanar befreundet war, kam wohl auch der Paddelfilmer Herbert Slanar hier zu Besuch.

 

Beim Recherchieren kristallisierte sich Weiteres heraus: Rudi Pillwein war nicht der einzige Medaillengewinner im Umfeld des Vereins. Im Gegenteil! Aus dem schlichten Haus in der Kuchelauer Hafenstraße 12 kam in den 1950er bis 1970er Jahren die Elite der Paddelsportler Österreichs. Max Raub, Fritzi Schwingl, Hanneliese Spitz, Christa und Helmut Hediger, Hedi Pillwein, sie alle trainierten auf der Regattastrecke im Hafenbecken für ihre Meisterschafts- und Olympiasiege. Von den 512 Österreichischen Staatsmeistertiteln im Kanurennsport, die zwischen 1946 und 1993 vergeben wurden, bekamen die Sportler von SWW die meisten: volle 98!

 

Da müssten doch Spuren zu finden sein! Am 5.-7. Oktober 2018 besuchte der deutsche Verein „Freunde historischer Faltboote e. V.“ das Bootshaus am Kuchelauer Hafen, um Erinnerungen an diese Athleten zu sammeln und nach ihren alten Booten, Modellen der Firmen Fürst und GESA, zu suchen.

 

Die Suche ist mühsam, weil eine Verbandszeitschrift, die wichtige Ereignisse festhalten würde, seit Jahren nicht mehr erscheint und der Österreichische Kanuverband – im Gegensatz zum Deutschen Kanuverband – lange Zeit kein Archiv besaß. Als der OKV Material für das Buch „70 Jahre Österreichischer Kanuverband – Dokumentation Rennsport“ (1993) suchte, lieferte Max Raub den Großteil der Informationen aus seinem Privatarchiv dazu.

Bild 3: „Freunde historischer Faltboote“ bei SWW Wien, von links: Jürgen Oertel (D), Christa Hediger (A), Ralf Petsching (D), Karl-Heinz Seichter (D), Max Raub (A), Helmut Hediger (A) (Foto Gernot Näser)

Die Urgesteine von „Schwarz-Weiß Westbahn“ empfingen uns herzlich und offen. Zwei Nächte durften wir ihre Gastfreundschaft erleben, uns mit Wort, Bild und Film vorstellen und das Bootshaus, die Sportler und viele Geschichten kennenlernen. Als Gastgeschenk hatten wir Filme Herbert Slanars aus den 1950er Jahren mitgebracht, und es war bewegend zu sehen, wie die ergrauten Paddlerinnen und Paddler ihre früheren Kameraden oder sich selbst wiedererkannten und ihren Erinnerungen Raum gaben.

Wir erfuhren nicht, was wir erwarteten. Nur wenige wussten noch von einem Faltboot mit Acrylglasspanten, und gefahren hatte es niemand. Von dem mutmaßlichen Erbauer hörten wir um so mehr, über die Wiener Faltbootwerften Fürst und GESA sogar Details. Am längsten aber sprachen die Alten über ihr Bootshaus und die Sportkameraden und Mitkämpferinnen, mit denen sie gelebt, gepaddelt und trainiert hatten. Die Erinnerungen an sie sollen an erster Stelle stehen.

 

Der Kuchelauer Hafen

 

Bild 4: Blick auf den Kuchelauer Hafen am nördlichen Stadtrand von Wien. (Foto Gernot Näser)

Die Hafenanlage Wien-Kuchelau am Donaukilometer 1935,3 wurde 1901-1903 erbaut, indem man den Hafenbereich durch einen Damm von der Donau abtrennte. Weil seine Einmündung rasch versandete, erfüllte der Hafen nicht die in ihn gesetzten Hoffnungen. Stattdessen siedelten sich in ihm viele Wassersportvereine an, zuerst 1924 der „Wiener Kajakclub“ bzw. „Wiener Paddelsportklub“, der älteste Kanuverein Wiens, in seinem heute noch bestehenden Bootshaus.

 

Eine Wassersportkarte von 1928 zählt sieben Wassersportclubs, dazu das Kuchelauer Strandbad am Hafeneingang, wo heute der Radlerimbiss steht. Sie alle nutzten das 2500 m lange Stillwasser als Regattastrecke: Während der 2. Arbeiterolympiade vom 24. bis 27. Juli 1931 (die „Wiener Spiele“) verfolgten hier tausende Menschen das Wettrennen in Faltbooten. Der „Wiener Paddelsportklub“ bewahrt in seinem Bootshaus noch ein Foto der Regatta. Bis zur Eröffnung der Regattastrecke in der Wiener Neuen Donau sollten viele Österreichische Staatsmeisterschaften im Kuchelauer Hafen ausgetragen werden.

 

Nach dem deutschen Einmarsch 1938 wurde die Hafeneinfahrt ausgebaggert, um eine Marinewerft in den Hafen bauen zu können (und noch viele Jahrzehnte lang gehörte der hintere Hafenteil dem Bundesheer.) Folgerichtig wurde der Hafen im Zweiten Weltkrieg zerbombt, wobei bis auf das Haus des „Wiener Kajakclubs“, des heutigen „Wiener Paddelsportklubs“, alle Bootshäuser verbrannten.

Bild 5: Bootshaus des Kanuvereins „Schwarz-Weiß Westbahn Wien“, im Vordergrund ein Fürst-Wandereiner. (Foto Gernot Näser)

Bild 6: In der Bootshalle warten moderne Modelle auf den Start. (Foto Ralf Petsching)

 

Einer der Vereine, die den Wiederaufbau in die Hand nahmen, war die gleich nach Kriegsende von den Eisenbahnern des Wiener Westbahnhofs gegründete „Sportvereinigung Schwarz-Weiß Westbahn“. (Die „Westbahn“ ist die vom Westbahnhof ausgehende Bahnstrecke Richtung Salzburg.) Mit dem Unternehmen der Österreichischen Westbahn hatte der Verein nichts zu tun, sondern wuchs aus gewerkschaftlichen Wurzeln der Mitarbeiter und hatte infolgedessen zunächst die verschiedensten Sektionen, wie Boxen, Ringen, Judo, Fußball und eben Paddeln. (Auch andere Wiener Sportvereine haben diese Wurzeln. So entstand der nebenan befindliche Kajakverein WAT, der „Wiener Arbeiter-Turn- und Sportverband“, 1919 auf Initiative der Wiener Buchdrucker, die besonders schwere Arbeitsbedingungen hatten und sich daher schon früh gewerkschaftlich organisierten.)

 

Das Bootshaus von „Schwarz-Weiß Westbahn“ entstand bis 1951 in Eigenarbeit der Mitglieder auf einem Grundstück, auf dem zuvor ein kleines Filialbootshaus des traditionsreichen Wiener Rudervereins „Donauhort“ gestanden hatte, aus noch verwertbaren Trümmern ihrer zerstörten Arbeitsstätte, oder, wie Max Raub es formulierte: „Im Bootshaus steckt der halbe Westbahnhof!“ Raub selbst kam Ende der 40er Jahre aus Klosterneuburg in den Verein, um bei den Kanu-Weltmeisterschaften in Kopenhagen 1950 im Team mit Herbert Wiedermann im Zweierkanu seine erste Bronzemedaille zu gewinnen. Fritzi Schwingl allerdings war ihm zuvorgekommen: schon 1948 hatte die 27jährige von den Olympischen Spielen in London im Team mit Trude Liebhart zwei Bronzemedaillen nach Hause gebracht – die ersten ihrer langjährigen Karriere. Als weitere Spitzensportler kamen das Ehepaar Hedi und Rudi Pillwein dazu, die in den 50er und 60er Jahren die Weltmeisterschaften dominieren sollten. Es ist wohl kein Zufall, dass Rudolf Stöger, 1951-59 Präsident des österreichischen Kanuverbandes und danach zum Ehrenpräsidenten ernannt, Mitglied von „Schwarz-Weiß Westbahn“ war.

 

Bild 7: ÖKV-Präsident Stöger, ein Mitglied von „Schwarz-Weiß Westbahn“, begrüßt die österreichische Mannschaft bei der Eröffnung der Kanuslalom-Weltmeisterschaft in Meran 1953. (Foto Herbert Slanar)

 

Der Erfolg der österreichischen Elitepaddler hielt bis in die 1960er Jahre an. Noch heute ist das mittlere Tor der Bootshalle von „Schwarz-Weiß Westbahn“ mit dem Deckel der Kiste verkleidet, in der die Paddel zur Olympiade 1968 den Weg nach Mexiko antraten. Die Zeitzeugen behaupten, dass der Kärntner Norbert Sattler, der bei den Olympischen Spielen 1972 im Augsburger Eiskanal den Leipziger Siegbert Horn (1950-2016) besiegte und heute an der Soča eine Kanuschule führt, „der letzte gute Mann“ war. Mit ihm endete die österreichische Kajak-Erfolgszeit.

 

Heute trainiert neben einer Drachenbootmannschaft auch (unter der Leitung Günter Hedigers, des Sohnes von Christa und Helmut Hediger) eine Schülerkajak-Rennmannschaft bei „Schwarz-Weiß Westbahn“, die auf vielen nationalen Regatten antrat und siegte.

 

Bild 8: So sieht ein erfolgreicher Sportverein aus! (Foto Ralf Petsching)

Max Raub

Bild 9: Der 92jährige Max Raub in den Räumen seines alten Vereins, Oktober 2018. (Foto Gernot Näser)

Max Raub

 

1926 geboren, musste der gelernte Tischler im Zweiten Weltkrieg an die Front (seine Kriegserlebnisse sind im Internet nachzulesen). Heil zurückgekehrt, trainierte er zunächst im nicht mehr bestehenden Verein „Albatros Klosterneuburg“, wo der Zwanzigjährige bereits 1946 im Team mit Herbert Wiedermann („das dynamische Duo“) im Zweier über 1000 m den 3. Platz bei den Österreichischen Staatsmeisterschaften errang. Bereits ein Jahr später erkämpften beide in der gleichen Disziplin den 1. Platz! Wenn man bedenkt, dass diese Leistungen in Not und Hunger der Nachkriegszeit erzielt wurden, kann man sich ein Bild machen von der Energie, mit der „der Maxl“ an seine Aufgabe heranging.

 

1947 wechselte Max Raub zu „Schwarz-Weiß Westbahn“ an den Kuchelauer Hafen, und hier startete seine Erfolgslaufbahn erst richtig. Sein olympisches Rüstzeug erwarb er sich in den 1950er Jahren an der Deutschen Hochschule für Körperkultur in Leipzig, „einer der weltweit erfolgreichsten Sporthochschulen“, unter Jochen Lenz („seine Enkel fahren jetzt Kanuslalom“). Die Verbindung der beiden sollte lebenslang Bestand haben. Prof. Dr. Jochen Lenz (1930-2021) kam als „Reisekader“ der DDR mit seiner Frau mehrfach zum Skilaufen nach Österreich, und als international angesehener Trainer konnte Max Raub durchsetzen, dass der damalige Leiter des Wissenschaftsbereichs Wasserfahrsport/Touristik an der Deutschen Hochschule für Körperkultur in Leipzig und langjähriger Stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Kanu-Sport-Verbandes der DDR als „Fachmann für Bootsprüfung“ zu den Olympischen Spielen 1988 nach Seoul reisen konnte.

 

In der Dokumentation „70 Jahre Österreichischer Kanuverband“ (1993) kann man nachlesen, wie viele Preise Max Raub bis 1954 bei den Österreichischen Staatsmeisterschaften errang. Hier soll nur auf seine internationalen Erfolge verwiesen werden:

 

Bild 10: Max Raub (aus dem Herbert-Slanar-Film „Bootsweihe in Langenlebarn“ 1953)

Bild 11: Herbert Wiedermann (aus dem Herbert-Slanar-Film „Bootsweihe in Langenlebarn“ 1953)

 

* die Bronzemedaille beim 1000-Meter-Kanurennen im Zweier (im Team mit Herbert Wiedermann vom „Wiener Kajakclub“ im Kuchelauer Hafen nebenan) bei den Olympischen Spielen 1952 in Helsinki (deren ausgeblichener Wimpel noch heute im Bootshaus liegt) sowie der 4. Platz beim 10.000-Meter-Rennen im Zweier zusammen mit Wiedermann,

 

* die Bronzemedaille bei der 10.000-m-Staffel der Kanu-Weltmeisterschaften in Mâcon / Frankreich 1954 (im Team mit Herbert Wiedermann, Hermann Salzner und Alfred Schmidtberger) sowie den Weltmeistertitel beim 10.000-m-Kanurennen der gleichen Weltmeisterschaften (im Team mit Wiedermann). Das „Weltmeisterboot“ kann man noch heute im Bootshaus sehen.

 

Bild 12: Das „Weltmeisterboot“ des 10.000-m-Rennens von Mâcon 1954 im Bootshaus von „SWW Wien“. (Foto Ralf Petsching)

* und die Bronzemedaille im 1000-Meter-Kanurennen im Zweier bei den Olympischen Spielen Melbourne 1956 (erneut im Team mit Herbert Wiedermann).

 

Der Ruf Max Raubs drang auch nach Deutschland. Um 1960, noch vor dem Mauerbau, ergab es sich, dass er zu den „Maschseetagen“ nach Hannover fuhr und dort mit Willi Horn ein Hotelzimmer teilte („Horn-Hanisch ist ja bekannt“). Horn, der bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin zusammen mit Erich Hanisch 1936 die Silbermedaille über 10.000 m im Faltbootzweier errungen hatte und jetzt in Ost-Berlin lebte, erzählte, so erinnert sich Max Raub, unter anderem über die „Ernährungslage in der Zone“.

 

In den Folgejahren sollte Max Raub als Trainer die jungen Talente Christa und Helmut Hediger sowie Hanneliese Spitz zum Erfolg führen. In der Zeit nach dem Krieg wurde der österreichische Kanurennsport zwar vom OKV finanziell unterstützt, doch hing der sportliche Erfolg von den jeweiligen Vereinstrainern und ihrer individuellen Taktik ab. Sportler mit Leib und Seele, trainierte Max Raub seine Mannschaft mit einer Konsequenz und Strenge, die den Trainierten noch 50 Jahre später im Gedächtnis blieb. Der Erfolg blieb nicht aus: Hanneliese Spitz gewann bei den Europameisterschaften 1963 in Jajce die Bronzemedaille im K1 und nahm zusammen mit Max Raub an der Olympiade 1964 in Tokio teil, Helmut Hediger zählte zu der Mannschaft im Vierercanadier, die 1967 in Duisburg die Bronzemedaille gewann, und gehörte der österreichischen Mannschaft der Olympiaden 1968 in Mexico City und 1972 in München/Augsburg an. Die Härte des Trainers überdeckte nicht Max Raubs menschliche Ausstrahlung. Paddler, die unter ihm übten, blieben ihm ein Leben lang freundschaftlich verbunden, auch mit seinen 92 Jahren.

 

Drei Jahrzehnte, von 1960 bis 1990, war Max Raub der Rennsportreferent des Österreichischen Paddelsport-Verbandes (der sich 1977 in „Österreichischer Kanuverband“ umbenannte). Auch als Wildwasserpaddler war er in dieser Zeit aktiv und befuhr zwölf- oder fünfzehnmal die Salzachöfen. „Beim ersten Mal war ich natürlich nervös – später war mehr Wasser drin. … Durch die Lammeröfen bin ich nur einmal.“

 

Nach eigenem Bekunden baute Max Raub auch fünf oder sechs Boote, „ein Mittelding zwischen Fürst und GESA“. Er nutzte sie für Paddelfahrten während seiner Dienstreisen für die Österreichische Bundesbahn.

 

Im Laufe der Jahre sammelte Max Raub ein umfangreiches Archiv zusammen. Die Chronik „70 Jahre Österreichischer Kanuverband – Dokumentation Rennsport“ von 1993 hätte ohne seine Zuarbeit nicht entstehen können.

 

Max Raub war Träger des Goldenen Verdienstabzeichens der Stadt Wien und des Silbernen Verdienstzeichens der Republik Österreich.

Als Gastgeschenk verehrten wir ihm einen Wimpel der Kanu-Weltmeisterschaften in Mâcon 1954 als Erinnerung an seinen Weltmeistertitel.

 

Nach kurzer Krankheit verstarb Max Raub am 9. November 2019. Er wurde 94 Jahre alt. Sein sportlicher Nachlass wird von Christa und Helmut Hediger betreut.

 

 

 

 

Fritzi Schwingl

 

Bild 13: Fritzi Schwingl beim Training (aus dem Herbert-Slanar-Film „Fritzi Schwingl – Porträt des Tages – Wassersportrundschau“ 1954)

 

Auch heute nennen ihre alten Freunde sie nicht bei ihrem Geburtsnamen „Friederike“. 1921 geboren, war sie schon Anfang der 40er Jahre leistungsstark genug, um 1944 zusammen mit Margarete („Grete“) Hediger als Team-Mitglied für die „Deutschen Meisterschaften“ 1944 nominiert zu werden (die dann, weil alle männlichen Paddler an der Front standen, nicht durchgeführt wurden). Nachdem sie 1946 bei den Österreichischen Staatsmeisterschaften im Einer über 600 m den 1. Platz erkämpft hatte, wechselte sie 1946/47 zusammen mit Max Raub vom damaligen Verein „Albatros Klosterneuburg“ zu „Schwarz-Weiß Westbahn“ an den Kuchelauer Hafen. Und hier begann ihre Sportlerlaufbahn erst richtig.

 

Wie bei Max Raub würde es zu weit führen, alle ihre Erfolge aufzulisten. Unter dem Trainer Franz „Popo“ Popovchich, der Zeitzeugen noch heute als „sehr streng“ in Erinnerung ist, war Fritzi Schwingl ein Jahrzehnt lang die österreichische Spitzenpaddlerin schlechthin. Ihre größten Erfolge wurden die Bronzemedaille beim 500-m-Rennen im Einerkajak bei den Olympischen Spielen 1948 in London sowie (im Team mit der sieben Jahre jüngeren Gertrude Liebhart) die Bronzemedaille beim 500-m-Rennen im Zweierkajak – zwei von insgesamt acht Medaillen, die Österreich bei diesen Spielen überhaupt errang! Beide Rennen wurden auf der Regattastrecke in Henley-on-Thames ausgetragen; vielleicht findet man im dortigen Rudermuseum Fotos oder Exponate zu ihr? Es folgten die Silbermedaille im Faltbooteiner bei der Kanuslalom-WM in Genf 1949 (vor der Vereinskameradin Hedi Pillwein) und (im Team mit Hedi Pillwein und Gerti Pertlwieser) die Goldmedaille bei den gleichen Meisterschaften. Bei den Kanu-Weltmeisterschaften in Kopenhagen 1950 errang Fritzi Schwingl die Bronzemedaille beim 500-m-Kanurennen im Einer sowie die Silbermedaille beim 500-m-Kanurennen im Zweier (im Team mit Trude Liebhart). Bei der Kanuslalom-WM in Steyr 1951 gewann sie die Silbermedaille im Faltbooteiner und die Goldmedaille im Team mit Pillwein und Gerti Pertlwieser; dass für sie in Steyr noch der 1. Platz im 5000-m-Rennen im Faltbooteiner hinzukam, zeigt, dass Fritzi Schwingl sowohl im Kanuslalom als auch im Rennsport die internationale Spitze beherrschte, was ihr weltweit nur eine zweite Frau nachmachte: die Österreicherin Hanneliese Spitz – Vereinskameradin bei „Schwarz-Weiß Westbahn“!

 

Zusätzlich dürfte ihr Rudi Pillwein ein Beispiel gegeben haben. Ein Jahr, nachdem dieser 1955 das Arkansas River Race gewonnen hatte, trat Fritzi Schwingl im neu entwickelten „Arkansas“-Renneiner von GESA bei diesem Slalom an – und wurde die schnellste Frau! Ihren „Salida“-Wimpel verehrte sie stolz dem Bootshaus.

 

Die Kanuslalom-WM in Meran 1953, über die Herbert Slanar einen Film drehte, endete für sie mit der Goldmedaille im Faltbooteiner und zugleich (im Team mit Ulrike Werner und Gertrude Will) mit einer Bronzemedaille. Nachdem sie bei den Kanu-Weltmeisterschaften in Mâcon (Frankreich) 1954 die Silbermedaille beim 500-m-Kanurennen im Einer errungen hatte, war Fritzi Schwingl so populär, dass sie als erste Paddlerin überhaupt zum österreichischen „Sportler des Jahres“ gewählt wurde. Noch einmal war sie international erfolgreich, als sie bei der Kanuslalom-WM in Augsburg 1957 (im Team mit Hella Philips und Gertrude Stöllner) den dritten Platz errang.

 

Bild 14: Siegerehrung der Kanuslalom-WM in Meran 1953. Auf dem Podest Fritzi Schwingl (A), links Eva Setzkorn (DDR), ihre stärkste Konkurrentin; auf dem 3. Platz Dana Martanová (CSR). (aus dem Herbert-Slanar-Film „Kanuslalom WM Meran“ 1953)

 

Die vielen Jahre, die sie österreichische Landesmeisterin wurde (es heißt: 33 mal!), fallen demgegenüber kaum ins Gewicht. Mit 75 Jahren wurde Fritzi Schwingl das Große Goldene Verdienstabzeichen der Republik Österreich verliehen.

 

Bild 15: Bootsaufbau für das Anpaddeln in Tulln, Mitte der 1950er Jahre. In der Mitte Fritzi Schwingl im GESA, rechts hinter ihr der junge Helmut Hediger mit seiner Mutter. (Archiv Christa und Helmut Hediger)

 

 

Im Alter zog sie zu Verwandten nach Klosterneuburg zurück. Ihre Medaillen und Urkunden bewahrte sie stolz auf. Wir haben sie nicht mehr sprechen können: am 9. Juli 2016 verstarb Fritzi Schwingl mit 94 Jahren. Ihre Spinde im Verein aber tragen noch immer ihren Namen. Man wird still, wenn man neben den Spuren einer langjährigen Weltmeisterin steht.

 

Bild 16: Der Spind Fritzi Schwingls (Foto Ralf Petsching)

 

Christa und Helmut Hediger

 

Die Hedigers gehören zur nachfolgenden Kanutengeneration, die von den Erfahrungen Max Raubs und Fritzi Schwingls profitierte.

Mit 19 Jahren machte Helmut Hediger bei den Österreichischen Staatsmeisterschaften 1964 mit Erst- und Zweitplatzierungen in mehreren Renndisziplinen auf sich aufmerksam. Sein erster internationaler Erfolg war (im Team mit Günther Pfaff, dem 2013 mit 79 Jahren verstorbenen Kurt Lindlgruber und Gerhard Seibold) die Silbermedaille beim 1000-m-Kanurennen bei den Kanu-Weltmeisterschaften in Berlin-Grünau 1966. Die Höhepunkte seiner Karriere bildeten die Bronzemedaille bei der 10.000-m-Staffel der Kanu-Weltmeisterschaften in Duisburg 1967 (im Team mit Kurt Lindlgruber, Günther Pfaff und Gerhard Seibold), der 7. Platz im 1000-m-Kanurennen bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko (im Team mit Kurt Lindlgruber, Günther Pfaff und Gerhard Seibold) und noch einmal der 7. Platz beim 1000-m-Kanurennen bei den Olympischen Spielen 1972 in München/Augsburg (im Team mit Günther Pfaff). Bis 1975 errang er viele Erstplatzierungen bei den Österreichischen Staatsmeisterschaften. 1992 wurde Helmut Hediger zum Rennsportreferenten des Österreichischen Kanuverbandes gewählt.

Bild 17 Christa und Helmut Hediger 2018

 

Trude und Kurt Liebhart, Engelbert Lulla, Gerhard Seibold, Hanneliese Spitz

 

Neben den oben genannten Kajak-Giganten gab es weitere Sportler, die „Schwarz-Weiß Westbahn“ über Jahre hinweg zum Eliteverein Österreichs machten: Gertrud („Trude“) und Kurt Liebhart, Engelbert Lulla, Gerhard Seibold und Hanneliese Spitz standen im Schatten unserer Erkundigungen. Ihre Kurzbiographien und Erfolge kann man in der Broschüre „70 Jahre Österreichischer Kanuverband – Dokumentation Rennsport“ nachlesen. Ein Bild der 1941 geborenen „Hanneliese Spitz, dreifache Weltmeisterin im Mix-Canadier“ hängt noch im Gruppenraum. Nicht nur dies erkämpfte sie, sondern auch die Bronzemedaille im 500-m-Kanurennen (Einer) bei den Weltmeisterschaften 1963 in Jajce / Jugoslawien. Bei den Olympischen Spielen in Tokio 1964 errang sie im 500-m-Kanurennen immerhin noch den 6. Platz. Für ihre Leistungen erhielt sie 1963 das Ehrenzeichen des Österreichischen Paddelsport-Verbandes.

 

Ob man über sie alle noch mehr hätte erfahren können?

 

Team:

Reise nach Wien: Gernot, Lutz und Kalle, Jürgen Ö. und Ralf Petsching im Herbst 2018

Redaktion Text: Gernot Näser, Berlin, im Mai 2019

Bildredaktion:    Gernot, Ralf

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